ARTIKEL
ESG in der Versicherungsbranche: „nachhaltige Finanzprodukte“
von Isabelle Knoché, Rechtsanwältin und Jasmin Runge, Diplom-Juristin
Die Versicherungsbranche steht vor einem Transformationsprozess, in dem ESG-Kriterien zu einem entscheidenden Faktor werden. Regulatorische Anforderungen und die Entwicklung nachhaltiger Versicherungsprodukte prägen diesen Weg in eine grünere Zukunft, der sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich bringt.
Die Integration von ESG-Aspekten hat in den letzten Jahren einen signifikanten Einfluss auf die rechtlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investoren erlangt. ESG-bezogene Aspekte werden somit zur zentralen Rolle der nachhaltigen Unternehmensführung. Mit der zunehmenden Ausweitung der Gesetzgebung im Bereich der Nachhaltigkeit gewinnen ESG-Themen erheblich an Relevanz. Auch das Unternehmenshaftungsrecht wird sich künftig sowohl auf materieller Ebene durch die verstärkte Implementierung von Nachhaltigkeitspflichten als auch auf prozessualer Ebene maßgeblich transformieren1.
Transformation der Nachhaltigkeitspflichten
Der regulatorische Trend in Richtung nachhaltiger Entwicklung wird insbesondere durch kürzlich in Kraft getretene Regularien wie der EU-Taxonomie-Verordnung und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz des Bundes (LkSG), der CSRD und der
erst am 05.07.2024 im Amtsblatt der Europäischen Union verkündeten Coporate Sustainability Due Diligence Directive, unterstrichen2.
"Eine sorgfältige Dokumentation sollte wesentlicher Bestandteil im Rahmen der Beratung über nachhaltige Produkte sein.“
Isabelle Knoché
Der Einfluss auf die Versicherungsbranche
Nachhaltigkeit ist ein wesentliches Fokusthema in der Versicherungsbranche.
Die wachsende Bedeutung von ESG-Kriterien im Versicherungsmarkt spiegelt einen entscheidenden Wandel wider, bei dem diese Faktoren zu einem zentralen Erfolgsfaktor für die Kundengewinnung avancieren. Neben der Kundengewinnung müssen sich die Versicherungsunternehmen als Akteure der Finanzwelt den Herausforderungen der implementierten Nachhaltigkeitspflichten stellen.
ESG-bezogene Entwicklung der Versicherungsunternehmen
Die gesetzliche Transformation in Richtung Nachhaltigkeit auf nationaler und internationaler Ebene fordern von der Versicherungsbranche nachhaltiges Handeln ein. Gemeinsam mit Finanzinstituten gehören Versicherungsunternehmen zu den Vorreitern in Bezug auf die gesetzlichen Implementierungen, die umfassend Rechenschaft über ihre Aktivitäten im Bereich ESG ablegen. Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)3 und die EU-Taxonomieverordnung4 legen Versicherungsunternehmen eine detaillierte und verbindliche Berichterstattung über ihre Nachhaltigkeitsbemühungen auf. Damit können sich Kunden, Investoren, Banken und Vertragspartner ein umfassendes Bild von den Beiträgen der Versicherungsunternehmen zur Nachhaltigkeit machen. Für die Transparenz über die ökologische und grüne Ausrichtung von Investitionen und wirtschaftlichen Aktivitäten wurden verschiedene Key Performance Indicators (KPIs) definiert. Diese KPIs sollen Aufschluss darüber geben, inwiefern die Investitionen und Geschäftstätigkeiten des Unternehmens den Kriterien Umweltfreundlichkeit und ökologische Nachhaltigkeit entsprechen.5
Immer mehr Unternehmen verpflichten sich, bis 2050 sowohl ein klimaneutrales Anlageportfolio als auch ein klimaneutrales Versicherungsportfolio zu entwickeln6. Dies schließt nicht nur die Erfüllung der regulatorischen Berichterstattungspflichten mit ein, sondern bezieht sich auch auf alle relevanten Aspekte der operativen Umsetzung der ESG-Strategie. Dazu gehören Steuerungsansätze für ESG-KPIs sowie die organisatorische Integration von ESG-Kriterien in die Unternehmensstruktur.
Nachhaltige Versicherungsprodukte und die damit einhergehende Herausforderung
Zunehmend werden mittels der Integration von ESG-Kriterien, Offenlegungspflichten und Produktklassifizierungen nachhaltige Versicherungsprodukte geschaffen. Insbesondere der „Green Deal“ der Europäischen Union strebt mit einer EU-Verordnung an „grüne“ Geldanlagen zu fördern. Grüne Geldanleihen sollen künftig als Instrument der Klimaschutzfinanzierung dienen7. Die Verordnung etabliert einen EU-weiten Marktstandard für „grüne“ Anleihen, bekannt als der European Green Bond Standard (EUGBS).8 Versicherer müssen demnach ihr Produktportfolio überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um den bevorstehenden Anforderungen an grünen Geldanleihen zu entsprechen. Neue nachhaltige Versicherungsprodukte werden geschaffen.
Das Bewerben von nachhaltigen Finanzprodukten geht jedoch neben Wettbewerbs- und Kundengewinnungsvorteilen mit einem immensen Haftungsrisiko einher. Unbestimmte Nachhaltigkeitsbegriffe prägen den Unternehmensalltag.9 Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitspräferenzen werden somit Bestandteil der Beratungspflicht.10 Der Vertrieb nachhaltiger Kapitalanlagen schafft somit Raum für Haftungsgefahren in der Anlageberatung.
ESG in der Lebensversicherung und Gefahren des Greenwashing-Vorwurfs
Weit verbreitet sind ESG-Aspekte in der Lebensversicherung. Eine nachhaltige Lebensversicherung bezieht sich auf eine Lebensversicherungspolice, bei der ESG-Kriterien in die Anlagestrategie und Geschäftspraktiken des Versicherungsunternehmens integriert sind. Diese Art von Lebensversicherung soll nicht nur finanzielle Sicherheit bieten, sondern auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen.10
Finanz- und Versicherungsunternehmen werben mit ökologischen Versprechen und setzen sich dabei Greenwashing-Vorwürfen aus. So wurde erst jüngst eine Lebensversicherung von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg abgemahnt. Der Greenwashing-Vorwurf bezog sich auf eine beworbene „GrüneRente“. Der Versicherer habe den Verbraucher:innen wesentliche Informationen vorenthalten, die diese benötigen, um eine informationsgeleitete Entscheidung treffen zu können.11
Ausblick
Die Versicherungsbranche entwickelt sich weiter in Richtung Nachhaltigkeit. ESG-bezogene regulatorische Anforderungen wachsen für Versicherer. Die ESG-Berichterstattungspflichten sind mehr als ein regulatorisches Reporting und betreffen alle Bereiche im Versicherungsunternehmen. Die stetige Erweiterung durch Nachhaltigkeitsinitiativen und damit einhergehende Pflichten schaffen neuen Raum für ESG-Strategien. Bei der Bewerbung von nachhaltigen Finanzprodukten kommt es zur Vermeidung einer zivilrechtlichen Haftung entscheidend darauf an, bei der Anlageberatung unbestimmte Rechtsbegriffe individuell zu definieren. Eine sorgfältige Dokumentation sollte wesentlicher Bestandteil im Rahmen der Beratung über nachhaltige Produkte sein13.
1. NJW 2023, 945 Rn. 1.
2. Conrads/Serode/Tauberschmitt: Vier Grundprinzipien der ESG-Transformation als Basis der teleologischen Auslegung – Teil 1, ESG 2023, 168.
3. Richtlinie (EU) 2022/2464 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 und der Richtlinien 2004/109/EG, 2006/43/EG und 2013/34/EU hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen.
4. VO (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088.
5. BKR 2023, 569.
6. Klimaneutrale Kapitalanlage bis 2050 – Versicherer verabschieden Nachhaltigkeitsziele (gdv.de) (abgerufen: 16.07.2024).
7. Europäische grüne Anleihen (European Green Bonds): Rat nimmt neue Verordnung zur Förderung eines nachhaltigen Finanzwesens an – Consilium (europa.eu)(abgerufen: 16.07.2024).
8. COM/2021/391 final: Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über europäische grüne Anleihen.
9. r+s 2023, 49.
10. r+s 2023, 49.
11. ESG-Report 2023 – Nachhaltige Versicherung – Analysehaus Franke & Bornberg.
12. Weiter gegen Greenwashing bei Geldanlagen | Verbraucherzentrale Baden-Württemberg (verbraucherzentrale-bawue.de)(abgerufen: 16.07.2024)
13. BKR 2022, 747.