INTERVIEW
Die Bedeutung von „Kreislaufwirtschaft und Ressourcennutzung“ für die Versicherungsbranche
mit Dr. Markus Bockholt und Franco Mundkowsky von der R+V Allgemeine Versicherung AG
Durch die erstmalige Anwendung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) für das Geschäftsjahr 2024 ergeben sich neue Anforderungen in der Nachhaltigkeitsberichterstattung für Versicherungen in der EU. Dabei rücken Themen in den Fokus, die bisher nicht im Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsberichterstattung standen. Im Bereich Umwelt nennen die European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die die Vorgaben für den Inhalt der zukünftigen Nachhaltigkeitsberichterstattung präzisieren, unter anderem die folgenden fünf Themengebiete:
- Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel
- Umweltverschmutzung
- Wasser- und Meeresressourcen
- Biologische Vielfalt und Ökosysteme
- Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft
Mindestens innerhalb der verpflichtend durchzuführenden CSRD-Wesentlichkeitsanalyse müssen diese Umweltthemen von Versicherungsunternehmen betrachtet werden, um mögliche wesentliche Auswirkungen, Risiken und Chancen in diesen Themengebieten zu identifizieren. Neben der regulatorisch vorgegebenen Identifizierung der Wesentlichkeit unterschiedlicher Nachhaltigkeitsaspekte wird die CSRD in einigen Unternehmen aber auch als Denkanstoß genutzt: In der Rolle als Versicherungsgeber setzen sie sich mit den unterschiedlichen Umweltthemen auseinander und identifizieren dabei Möglichkeiten, wie Versicherungsunternehmen darauf positiv Einfluss nehmen können.
In der Schaden- und Unfallversicherung ist dabei „Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft“ in der Entwicklung von Versicherungslösungen und auch in der Schadenregulierung ein besonders spannendes Thema.
Definition Kreislaufwirtschaft gemäß der ESRS1: „Ein Wirtschaftssystem, bei dem der Wert von Produkten, Materialien und anderen Ressourcen in der Wirtschaft so lange wie möglich erhalten bleibt und ihre effiziente Nutzung in Produktion und Verbrauch verbessert wird, wodurch die Auswirkungen ihrer Nutzung auf die Umwelt reduziert und das Abfallaufkommen sowie die Freisetzung gefährlicher Stoffe in allen Phasen ihres Lebenszyklus minimiert werden, auch durch Anwendung der Abfallhierarchie.“
Wir haben mit Dr. Markus Bockholt (Bereich Konzern-Entwicklung) und Franco Mundkowsky (Nachhaltigkeitsmanager im Zentralbereich Komposit) von der R+V Allgemeine Versicherung AG gesprochen. gesprochen. Sie geben uns einen Einblick, wie Versicherungsunternehmen ihre Rolle in Bezug auf „Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft“ verstehen, welche Chancen, aber auch Herausforderungen in der Implementierung bspw. von Versicherungslösungen für die Kreislaufwirtschaft bestehen.
1. Warum ist das Thema Kreislaufwirtschaft so wichtig und wird bereits genug von der Versicherungsbranche in diesem Kontext getan?
Dr. Markus Bockholt: Das Thema Kreislaufwirtschaft ist wichtig, weil wir auf einem Planeten leben mit endlichen Ressourcen und parallel starkes Wachstum in Wirtschaft und Bevölkerung erleben. Viele kritische Ressourcen sind schon heute – unter der Annahme von linearem Wachstum – lediglich für wenige Jahre verfügbar. Wenn wir es nicht schaffen diese in Kreisläufen zu halten und wiederzuverwenden, werden wir massive humanitäre und wirtschaftliche Folgen erleben. Versicherer haben eine soziale Verantwortung. Diese ist zum einen intrinsisch motiviert, aber auch extrinsisch vorgegeben durch Regulatorik (z. B. CSRD). Versicherer sind als Finanzdienstleister in der Lage, über Konditionierung eine Steuerungsfunktion am Markt auszuführen. Mein Wissen, meine Aussagen beziehen sich auf allgemeine Mechanismen und sind nicht R+V-spezifisch, da ich noch keinen Kontakt mit der internen Kreislaufwirtschaft, mit Strategien oder Initiativen hatte.
Franco Mundkowsky: Dem kann ich nur zustimmen, denn schon bei der Gewinnung von Rohstoffen werden vielfach auch Klimagase freigesetzt und oftmals auch die Natur dabei zerstört. Dies muss verhindert oder zumindest maximal verringert werden, um die Enkelfähigkeit unserer Umwelt zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist das Thema Recycling einer der wichtigsten Hebel.
2. Welche Rolle kann einem Versicherungsunternehmen für den Übergang in eine Kreislaufwirtschaft zukommen?
Franco Munkowsky: Wir als Versicherungsunternehmen sichern die Risiken, welche sich aus dem Bau und dem Betrieb von z. B. Recyclinganlagen ergeben, ab. Zusätzlich haben wir mit unseren Risikoingenieuren Spezialisten an der Hand, die gegebenenfalls mit ihrer Expertise zukünftige Schäden an den Anlagen vermeiden helfen. Damit sind wir ein wichtiger Enabler sowohl aktuell als auch mit Blick in die Zukunft.
3. Worin sehen Sie die größten Treiber für das Thema Kreislaufwirtschaft in der Versicherungsbranche? In der Regulatorik, in den Marktchancen oder im Kostendruck?
Franco Mundkowsky: Deutschland ist unterschiedlich gut aufgestellt. Im Bereich der Siedlungsabfälle werden bereits zwei Drittel behandelt und stofflich verwertet. Im Bereich der Batterien dagegen ist dies aktuell erst in der Hälfte der Fälle so. Vor diesem Hintergrund bedarf es sicher vieler gemeinsamer Anstrengungen, sowohl von den Kunden, als auch von der Regulatorik. Da die Preise für die Ressourcen auch langfristig nicht sinken werden, ist dies aus meiner Sicht eine große Chance für alle Marktteilnehmer Das verdeutlichen auch die geplanten Anlagen.
Die Rolle der Regulatorik sehe ich dabei eher dort, wo es um die Harmonisierung der unterschiedlichen Anforderungen der einzelnen europäischen Länder geht, um einen gemeinsamen Rahmen für dieses wichtige Thema zu schaffen.
Vor diesem Hintergrund entstehen dann auch die Marktchancen durch die potenzielle Absicherung der Anlagen unserer Kunden – aber immer mit Blick auf die damit verbundenen versicherungstechnischen Risiken und den Preis.
Dr. Markus Bockholt: Ich persönlich sehe in der Versicherungsbrache vor allem Regulatorik als Treiber. Kostendruck im eigenen Betrieb ist meiner Meinung nach zu vernachlässigen, da wir uns aktuell noch in einer Zeit befinden, in der Kreislaufwirtschaft gerecht produzierte Güter in vielen Fällen teurer als konventionelle Produkte sind (z.B. Recycling Papier). Marktchancen könnten sich mittelfristig ergeben, wenn neue Produktions- und End-of-Life-Modelle relevant werden.
4. Welche Chancen sehen Sie in der Kreislaufwirtschaft für ein Versicherungsunternehmen? (z. B. neue Versicherungslösungen, „reparieren statt ersetzen“, Reputation)
Franco Mundkowsky: Wir bewegen uns dabei in einem engen Rahmen, der sowohl vom Gesetzgeber als auch vom Kunden gesetzt wird. Aktuell ist es in vielen Fällen noch nicht möglich oder gewünscht, gebrauchte und wiederaufbereitete Teile einzubauen.
Im Moment verwerten wir z.B. alle unsere Totalschadenfahrzeuge. Dadurch werden sowohl Teile als auch Rohstoffe wiedergewonnen. Auch der Bauschutt nach Katastrophen wird nach Möglichkeit der Kreislaufwirtschaft zugeführt. Wo es möglich ist, haben wir auch die Versicherungsbedingungen / -leistungen verbessert. So wird im Schadenfall ein energetisch besseres Haushaltsgerät ersetzt, um damit langfristig den Energieverbrauch zu schonen. Im Bereich der Transporte haben wir den Service b+a eingeführt, eine Assistanceleistung, bei welcher im Schadenfall durch ein geeignetes Abschlepp- und Bergeunternehmen versucht wird, die Umweltbelastung zu verringern. Die Ladungsbergung erfolgt unter der Prämisse, möglichst viel Ladung zu erhalten und weiternutzen oder einer nachhaltigen und umweltgerechten Entsorgung zuzuführen.
5. Was sind für Sie die größten Herausforderungen, um als Versicherungsgeber Versicherungslösungen zu entwickeln und anzubieten, die den Übergang zur Kreislaufwirtschaft fördern?
Franco Mundkowsky: Wie in jedem neuen Thema ist es für ein Versicherungsunternehmen schwierig, von Beginn an und noch ohne Erfahrungswerte neue geeignete Produkte und Dienstleistungen für Kunden anzubieten. Wir befinden uns in einem Prozess, den wir aber gemeinsam im genossenschaftlichen Verbund oder mit unseren Partnern, zum Beispiel mit den Straßenverkehrsbetrieben oder den Banken, aktiv vorantreiben. Dies sehe ich auch als eine der großen Stärken der R+V, da wir dadurch auch unseren Kunden passendere Produkte anbieten können.
6. Gibt es bereits konkret umgesetzte Maßnahmen oder geplante Aktionen zum Umweltthema Kreislaufwirtschaft im Versicherungsbereich?
Franco Mundkowsky: Wir sind gerade dabei, in diversen Arbeitsgruppen und Projekten neue Lösungen zu entwickeln. Da wir uns noch in einem recht frühen Stadium befinden, können wir noch keinen Zeitpunkt benennen, ab dem wir darüber berichten werden.
"Wir befinden uns in einem Prozess, den wir aber gemeinsam im genossenschaftlichen Verbund oder mit unseren Partnern, zum Beispiel mit den Straßenverkehrsbetrieben oder den Banken, aktiv vorantreiben. Dies sehe ich auch als eine der großen Stärken der R+V, da wir dadurch auch unseren Kunden passendere Produkte anbieten können."
Franco Mundkowsky, R+V Allgemeine Versicherung AG
7. Gibt es bereits konkret umgesetzte Maßnahmen oder geplante Aktionen zum Umweltthema Kreislaufwirtschaft im Versicherungsbereich?
Franco Mundkowsky: Sobald bestimmte, aktuell noch offene rechtliche Fragestellungen geklärt sind, wird es mit Sicherheit zu einer Veränderung in der Versicherungsbranche kommen. Wie groß diese Veränderung sein wird, hängt stark von den Kunden ab. Sobald ein Kunde bereit ist, beispielsweise einen beschädigten Gegenstand durch die Versicherung reparieren zu lassen oder gebrauchte Teile als Ersatz zu nutzen, werden wir als Versicherungswirtschaft ebenfalls bereit sein und unsere Kunden unterstützen. Und ich freue mich schon auf diesen Tag.
Dr. Markus Bockholt: Meiner Meinung nach muss man hierbei deutlich zwischen kurzfristig und langfristig unterscheiden:
- Kurzfristig: Das Thema wird an Popularität gewinnen durch Regulatorik wie CSRD, ich sehe die praktischen Implikationen allerdings nur stark begrenzt.
- Langfristig: Neue Versicherungsanforderungen ergeben sich durch neue Produkte und Business Models. Zum Beispiel ist die Sharing Economy ein zentrales Konzept, welches für Versicherer neue Herausforderungen darstellen könnte (wie versichere ich ein Fahrzeug, dessen Fahrenderin ich nicht kenne?). Auch Produkte, die durch Ressource Loops wie Remanufacturing mehrfach genutzt werden, stellen evtl. besondere Versicherungsanforderungen (z. B. stellt sich die Frage, wer übernimmt Liability dafür, dass mein Smartphone funktioniert, wenn einige Komponenten gebraucht und nicht neu sind).
Wir danken Herrn Dr. Bockholt und Herrn Mundkowsky für ihre Einblicke zum Thema „Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft“ und freuen uns, das Thema u. a. im Rahmen der CSRD-Berichterstattung gemeinsam mit Versicherern voranzutreiben.