INTERVIEW

Innovative IT-Technologie als Chance – im Gespräch mit SAP

von Christos Lemonidis und Steffen Reinig

Eine gut ausgestattete Finanzfunktion, die auch die Herausforderungen von morgen meistert, ist ohne den Einsatz von technologischen Lösungen nicht mehr denkbar. Aber IT-Systeme müssen zu den Bedürfnissen der Versicherungsbranche, der Unternehmen und ihrer Mitarbeitenden passen. Steffen Reinig, Partner bei KPMG im Geschäftsbereich Financial Services, und Christos Lemonidis, Branchenexperte für Versicherungen bei SAP in Deutschland, diskutieren, wie CFOs in der Assekuranz die Transformation meistern und das Wachstum im Unternehmen unterstützen. 

Vor welchen Herausforderungen stehen CFOs in der Versicherung aus eurer Sicht bei der Gestaltung der Finanzfunktion der Zukunft?

Steffen Reinig: Mit Blick auf die jüngsten wirtschaftlichen Herausforderungen, den Klimawandel und die digitale Transformation brauchen Versicherungsunternehmen ein effektives Risikomanagement. Die regulatorische Komplexität erfordert eine Optimierung operativer Prozesse und eine schnelle Anpassung der Geschäftsmodelle. Und mehr denn je sind neben Kostensenkungen auch eine erhöhte Anpassungsfähigkeit des Finanzbereichs an externe Faktoren von großer Bedeutung. Dazu kommen der Wettbewerb um Talente und einige interne Herausforderungen in der Branche: historisch gewachsene Finanzsysteme, Datenredundanzen, fragmentierte Finanzdaten und heterogene IT-Landschaften. Das erschwert eine effektive Zusammenarbeit und eine schnelle Anpassung an neue Geschäftsmodelle und betrifft auch Transformationsprojekte für neue IT-Systeme. Eine umfassende Digitalisierung und Automatisierung der Finanzprozesse ist deshalb dringend notwendig.

Wie hält man so viele Bälle auf einmal in der Luft?

Steffen Reinig: Indem man als Finanzbereich vom Jongleur zum Enabler der strategischen Steuerung durch das Management wird. So positioniert sich die Finanzfunktion als Wachstumsstütze. Ein echter Leistungsvorteil besteht darin, sich in Richtung einer flacheren, horizontalen Organisationsstruktur zu bewegen und damit der vertikalen und „traditionellen“ Art, welche hierarchisch strukturiert und funktional ausgerichtet ist, den Rücken zu kehren. Autorität und Entscheidungsfindung werden bei der horizontalen Form von Organisation auf verschiedene Teams oder Abteilungen verteilt. Dies fördert die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den Mitarbeitenden und führt oft zu einem dezentraleren Managementansatz. Für eine effektive Kollaboration bei dieser Form von Organisation ist eine datenzentrierte Architektur und das Integrieren neuer Technologien von entscheidender Bedeutung. Der Schwerpunkt sollte auf der Bereitstellung von Self-Services, kontinuierlichem Reporting und einem reibungslosen Datenzugriff liegen. So kann gewährleistet werden, dass die Bedürfnisse sowohl interner als auch externer Stakeholder erfüllt werden. Der Finanzbereich muss sich als agiler und anpassungsfähiger Partner für die Fachbereiche etablieren, um neuen Anforderungen gerecht zu werden – als Enabler der Arbeit in den unterschiedlichsten Abteilungen eben.

Christos Lemonidis: Ich würde noch ergänzen: Zu den zentralen Verantwortungsbereichen der Finanzabteilung gehört die operative Aufgabe, die finanzielle Leistung eines Unternehmens zu optimieren, einschließlich Reporting, Liquidität und Return on Investment. Um zukunftsfähig aufgestellt zu sein, müssen administrative Tätigkeiten, die oft die Hälfte der Arbeitslast der Abteilung ausmachen, reduziert und die Arbeitsweise neu definiert werden.

Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Finanzbereich nicht mehr ausschließlich als Reporting-Zentrale wahrgenommen wird, sondern in die Rolle als aktiver Partner der Fachbereiche im Entscheidungsprozess hineinwächst. Das erreicht der Finanzbereich, indem er verstärkt auf Systeme setzt, die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen – zum Beispiel Rechnungswesen, Aktuariat, Controlling und Planung – überwinden. Dazu gehören beispielsweise integrierte Datenplattformen, kollaborative Tools und Plattformen sowie das Automatisieren von Prozessen wie auch Analytik und künstlicher Intelligenz (KI). Mithilfe dieser können Daten analysiert und Muster erkannt werden, die über Abteilungsgrenzen hinweg relevant sind. Das Überwinden dieser Grenzen ist insbesondere für eine effektive Entscheidungsfindung, eine Effizienzsteigerung durch den gewonnenen Abbau von Silos und die Förderung der Zusammenarbeit sowie für die Innovationsförderung und Anpassungs- und Wettbewerbsfähigkeit von großer Bedeutung.

Viele Versicherungen migrieren aktuell auf das System S/4HANA. Was sind die Gründe?

Christos Lemonidis: SAP S/4HANA bietet die Grundlage für ein intelligentes Finanzwesen. Es verbessert aus unserer Sicht die Datenqualität und beschleunigt Finanzprozesse. Ein optimiertes Datenmodell mit einer vereinheitlichten Sicht auf Transaktions- und Analysedaten reduziert Komplexität. Datenredundanzen werden vermieden und damit Abstimmungsaufwände verringert. Viele Finanzprozesse sind neu gestaltet und vereinfacht und ermöglichen eine automatisierte Verarbeitung.

Steffen Reinig:  Durch die Implementierung von Best Practices und die Nutzung von neuen Funktionen und Technologien könnten Unternehmen ihre Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit steigern. In diesem Zusammenhang ist es insbesondere für uns als Unternehmensberatung entscheidend, strategische Partnerschaften zu pflegen und auszubauen. Als neuer Partner der SAP haben wir uns bewusst dazu entschieden, unser SAP-Geschäft öffentlichkeitswirksam auszubauen und zusätzliche Potenziale zu erschließen. Die neue Partnerschaft erlaubt es uns, unser Lösungsangebot um weitere Spitzentechnologien zu erweitern und den Zugang zu neuem Geschäft zu erleichtern. Durch die enge Zusammenarbeit mit SAP können wir unser Know-how und unsere Erfahrung in der Beratung und Implementierung von SAP-Lösungen weiter ausbauen und unseren Kunden einen noch höheren Mehrwert bieten. Insbesondere im Bereich Financial Services streben wir danach, die sich bietenden Marktpotenziale konsequent zu erschließen und unser IT-Leistungsangebot zu erweitern.

Warum ist die manuelle Datenverarbeitung nicht mehr ausreichend?

Steffen Reinig: Angesichts des steigenden regulatorischen Drucks und der begrenzten Ressourcen sehen wir im Finanzbereich die Notwendigkeit für grundlegende Neuerungen. Viele Prozesse, die wir immer noch beobachten, sind nicht mehr zeitgemäß, wie zum Beispiel manuelle Datenverarbeitungen, fragmentierte IT-Systeme und der Mangel an Echtzeit-Analytics durch die Nutzung älterer Software-Systeme. Versicherungsunternehmen benötigen eine umfassende Neuausrichtung sowohl ihrer Prozesse als auch ihrer Organisationsstruktur und sollten dabei eine agile und flexible IT-Architektur in Betracht ziehen. Ein ganzheitlicher Veränderungsprozess ist mittlerweile unumgänglich, um flexibel auf die steigenden Anforderungen zu reagieren. Im Mittelpunkt sollte dabei die richtige Balance zwischen regulatorischem Verständnis und effizienter Ressourcennutzung stehen, um nicht nur den aktuellen Herausforderungen zu begegnen, sondern auch langfristige Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten.

Welche Vorteile bietet der Cloud-Betrieb der Finanzfunktion?

Christos Lemonidis: Eine Neuausrichtung auf cloudbasierte Systeme ermöglicht Versicherern, sich rasch an den Wandel in der digitalen Landschaft anzupassen. Das Cloud-Szenario bietet die Möglichkeit, kontinuierlich und regelmäßig neue Funktionen und Innovationen bereitzustellen. Dazu gehören beispielsweise automatisierte Prozesse wie die Implementierung von Robotic Process Automation (RPA) zur Effizienzsteigerung, die Integration von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zur Analyse großer Datenmengen für präzisere Prognosen.

Welche Rolle kann künstliche Intelligenz im CFO-Ressort spielen? 

Steffen Reinig: Künstliche Intelligenz spielt zum Beispiel eine entscheidende Rolle im Bereich des Rechnungswesens, indem sie die Effizienz und Genauigkeit von Buchhaltungs- und Finanzprozessen verbessert. Beispiele hierfür sind Buchhaltungssysteme, die Daten automatisch erfassen, klassifizieren und verarbeiten können. KI erkennt Muster und Regeln, automatisiert Aufgaben wie die Rechnungserstellung, Belegbuchung und Finanzberichterstattung einschließlich der Intercompany-Abstimmung. Zusätzlich können KI-basierte virtuelle Assistenten Finanzfragen beantworten, einfache Buchhaltungsaufgaben durchführen und bei Finanzanalysen unterstützen. Durch den Einsatz von Natural Language Processing können sie komplexe Finanzberichte verständlich darstellen und automatisch Dokumentationen erstellen.

„Künstliche Intelligenz spielt eine entscheidende Rolle im Bereich des Rechnungswesens, indem sie die Effizienz und Genauigkeit von Buchhaltungs- und Finanzprozessen verbessert.“

Steffen Reinig, Partner, KPMG

KI ist ein Baustein im datengetriebenen Versicherungsunternehmen – wie gelingt das Gesamtkonzept?

Steffen Reinig: Data-Driven Insurance ist für den Finanzbereich von Versicherungen von entscheidender Bedeutung, um Effizienz zu steigern und neue Geschäftsmodelle überhaupt erst zu ermöglichen. Die Transformation von traditionellen Data-Warehouse-Lösungen hin zu einem zentralen Daten-Ökosystem ist dabei grundlegend. Die nahtlose Integration von Finanz- und Reporting-Architektur spielt eine Schlüsselrolle bei der Optimierung der Dateninfrastruktur. Um den Fokus auf Finanzfunktionen bei Data-Driven Insurance zu optimieren, sollten klare Finanzziele definiert und eng mit der Datenstrategie verknüpft werden. Die Qualität der Finanzdaten ist entscheidend ebenso wie die Nutzung spezialisierter Analysewerkzeuge. Gestärkte Datenkompetenz im Finanzteam muss angestrebt werden, während die Automatisierung von Prozessen parallel Ressourcen freisetzt. Regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen der Strategie sind notwendig und die enge Zusammenarbeit von Finanz- und IT-Teams ist entscheidend für den Erfolg.

Christos Lemonidis: Zur erfolgreichen Umsetzung dieser datengetriebenen Strategie sind verschiedene Lösungen verfügbar, die den Prozess unterstützen. Eine integrierte Datenplattform spielt hierbei eine entscheidende Rolle, indem sie die nahtlose Zusammenführung verschiedener Datenquellen ermöglicht und somit eine solide Grundlage für eine umfassende Datenstrategie schafft. Zudem bieten Tools und Infrastrukturen, die auf Datenmanagement und -analyse ausgerichtet sind, erhebliche Vorteile, um die gesammelten Daten effektiv zu nutzen und die Semantik zu wahren. Durch die Implementierung dieser Lösungen können Organisationen einen ganzheitlichen Ansatz für datengesteuerte Versicherungsprozesse verfolgen und dadurch ihre Wettbewerbsposition stärken.

Christos Lemonidis

Christos Lemonidis 

Strategic Customer Advisor,
SAP Deutschland 
Christos Lemonidis ist seit 2007 als Branchenexperte für Versicherungen im Bereich Customer Advisory Financial Services bei der SAP Deutschland SE & Co. KG. Er unterstützt Versicherungsunternehmen in ihrer Finanztransformation nach SAP S/4HANA. Lemonidis hat Mathematik studiert und ist Mitglied der Deutschen Aktuarvereinigung. Vor seiner Zeit bei SAP war er bei einer deutschen Versicherung im Bereich Risikocontrolling beschäftigt.
Steffen Reinig

Steffen Reinig 

Partner, Financial Services,
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Steffen Reinig ist Partner bei KPMG im Geschäftsbereich Financial Services und blickt auf bald 20 Jahre Beratungserfahrung im Transformationsumfeld zurück. Er war in verschiedenen Führungspositionen mit dem Fokus auf SAP Business Transformationen tätig. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der fachlichen Prozessbewertung, Optimierung und Harmonisierung/Standardisierung (Clean-the-Core) sowie in der Definition der Fach- und IT-Architektur bis hin zur technischen Realisierung. Cloud-optimierte Ansätze nehmen dabei einen großen Stellenwert ein. Reinig hat Wirtschaftsinformatik an der Universität Mannheim studiert und einen Executive MBA an der Business School Mannheim erworben.

Weitere interessante Inhalte für Sie

AdobeStock_641797899_1500x1000
ARTIKEL

Transformation der Finanzfunktion in Versicherungsunternehmen 

AdobeStock_443183396_1500x1000
ARTIKEL

Ist generative KI relevant für die Finanzfunktion?